Exkurs Problemverhalten
Warum entsteht sogenanntes „Problemverhalten“?
Verhaltensentwicklung ist ein komplexes Thema wobei Genetik/Epigenetik, Lernerfahrungen, Charakter und soziale Einflüsse eine Rolle spielen. Verhalten ist immer eine Reaktion auf die Umwelt, dahinter stecken Bedürfnisse wie der Wunsch nach Sicherheit/Schutz, das Durchsetzen eigener Interessen, Ressourcenverwaltung, Nahrungserwerb, Paarungsverhalten, etc.
Hunde können nur auf Handlungsstrategien zurückgreifen, die auch in ihrer Verhaltensbiologie vorkommen.
Wenn sie also mit Flucht oder Aggression, Zerstörungswut oder Dauergebell antworten, ist das zwar störend oder schwierig für deren Besitzer, aber für den Hund die einzig "logische" Reaktion auf die Situation.
Zum Problemverhalten wird es für den Hund, wenn der er dauerhaft aus dem Stress, der Angst und der Aggression nicht mehr herauskommt und sich oder anderen schadet.
Wir als Besitzer fühlen uns dann oft hilflos, enttäuscht, verärgert und genauso überfordert wie der Hund.
Vor lauter Anpassungsfähigkeit unserer Hunde an die Menschenwelt, kann man schon mal vergessen, das Anpassung auch Grenzen hat.
Dies zeigt sich spätestens dann, wenn der Hund eine für ihn konfliktbeladene Situation aus hündischer Sicht bewertet und keine andere Möglichkeit sieht, als sie mit seinen tierischen Mitteln zu lösen.
Wenn der Hund im Ergebnis jeden, der sich nur wagt zu atmen niederzumetzelt oder der Nachbarschaft stundenlange Bell- und Jaulkonzerte gönnt, kann das die gesamte Beziehung belasten.
Manchmal bringt man seinen Hund sogar in alltäglichen Situationen selbst in Konflikte, ohne dass man sich dessen bewusst ist.
Fehlinterpretation der hundlichen Körpersprache, Missverständnisse in der Kommunikation, fehlende Handlungsbereitschaft seitens der Besitzer in Situationen, die für Menschen normal sind, Hunde aber überfordern, genetisch verankerte Verhaltensweisen die nicht zum Menschen passen, Reizverarbeitungsschwierigkeiten oder einfach falsch erlerntes Verhalten, sind einige Bausteine für zukünftige Probleme. Ein Grund steht bei der Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten meist nicht alleine, weitere Faktoren können eine ungünstige soziale Wechselwirkung zwischen Hund und Mensch sein, körperliche Ursachen/Krankheiten, Fehlverknüpfungen des Gehirnes, hohe Erregung/Frustration, traumatische Erlebnisse, mangelnde Sozialisierung, Über- und Unterforderung oder ungelöste Konflikte.
Hunde haben 4 Konfliktlösestrategien, die sogenannten 4 Fˋs:
🐾Fiddle/Flirt (herumkaspern, albern sein, dem Spiel ähnlich)
🐾Freeze (erstarren, einfrieren, bewegungslos)
🐾Flight (flüchten, fliehen)
🐾Fight ( kämpfen, drohen)
Diese 4 Strategien werden in Konfliktsituationen gezeigt, dienen der Distanzvergrößerung und sollen die Situation entschärfen. Funktioniert die gewählte Option nicht, wechselt der Hund zur nächsten und die erfolgreichsten Strategien etablieren sich. Welche Konfliktstrategie dein Hund wählt ist individuell, hängt vom Charakter ab, dem Verhalten des Gegenüber, Lernerfahrungen und Genetik. Aggression ist eher die letzte Wahl, da eine Verletzungsgefahr oder der Tod nicht besonders zur Lebenserhaltung beiträgt.
Durch Zuchtziele bringen aber manche Haushunderassen eine gewisse genetische Veranlagung für bestimmte Verhaltensweisen mit, wie eine erhöhte Wachsamkeit oder das Zupacken.
Im folgenden ein einfaches aber häufiges Beispiel wie ungewollt Problemverhalten an der Leine entstehen kann.
Der etwas unsichere Hund Fiffi steht kurz vor einer Hundebegegnung beim spazieren gehen. Er möchte keinen Konflikt und zeigt über seine Körpersprache deeskalierende Verhaltensweisen, während er mit seinem Mensch dem anderen Hund immer näher kommt.
Damit möchte er dem entgegenkommenden Hund zeigen, dass er keine Gefahr darstellt und nicht an Kontakt oder einer Auseinandersetzung interessiert ist. Er leckt sich also die Schnauze, schaut weg und möchte den Weg schnüffelnd verlassen, wird aber vom Besitzer weitergezogen, „Fuß Fiffi!“
Langsamer werden und Bogen laufen, werden durch die Leine verhindert.
Fifi und sein Mensch kommen bei den anderen an und der fremde Hund will ihn beriechen. Fiffi zeigt oben genannte Konfliktstrategien, er erstarrt kurz, geht dann plötzlich mit dem Vorderkörper runter und hopst wild herum, „Willst du spielen, Fiffi?“
Er versucht wegzukommen, aber der andere Hund kommt hinterher. Fiffi knallt erst ans Ende der Leine, schießt dann plötzlich herum und stürzt sich knurrend auf den zweiten Hund.
Die Menschen erschrecken sich, trennen die Streithähne und gehen schnell in die andere Richtung weiter.
Was ist passiert?
Fiffi hat alles versucht, um einen Konflikt aus dem Weg zu gehen, und der Halter hat dies durch das weiter gehen und die gerade Annäherung verhindert, wahrscheinlich aus Unwissenheit.
Erst durch seinen Angriff hat Fiffi das bekommen, was er ursprünglich wollte, eine Distanzvergrößerung, durch das getrennt werden und weitergehen.
Fiffi hat gelernt, dass die Strategie Kampf besser funktioniert, als alle anderen die er davor gezeigt hat.
Passiert dies öfter, wird er sich irgendwann das herumkaspern, flüchten und erstarren sparen, da es keinen Erfolg verspricht und wird beim nächsten Mal womöglich gleich die Aggression wählen. Anfangs noch in abgeschwächter Form, wird er jedes Mal sicherer und vehementer in seinem Tun. Eine Leinenaggression ist geboren.
Der andere Blickwinkel.
Für uns Menschen ist es etwas ganz normales, sich auf Spazierwegen ziemlich direkt entgegen zu laufen. Eventuell bleibt man auch sehr nah beieinander stehen, hält ein Schwätzchen und möchte, das die Hunde sich Hallo sagen. Schließlich sind Hunde ja soziale Tiere und spielen sofort miteinander nachdem sie aufeinandertreffen. Denkt zumindest der Mensch, der Hund sieht dies jedoch oft etwas anders.
Das Hunde sich begrüßen müssen, ist immer noch ein weit verbreiteter Irrglaube und auch nicht jede Dynamik unter Hunden ist ein Spiel, (siehe oben 4 F´s Fiddle/ Flirt.
Aus Sicht des Hundes wird die gerade, direkte, schnelle Annäherung des gegenüber als sehr unhöflich, im schlimmsten Fall als Angriff gewertet.
Unter Hunden beinhaltet eine höfliche Annäherung immer deeskalierende Verhaltensweisen wie einen Meidebogen laufen, Bewegung verlangsamen, am Boden schnüffeln, über die Schnauze lecken und den Blick abwenden.
Ohne Mensch würde ein direkter Kontakt unter (fremden) Artgenossen meistens nicht stattfinden, vorausgesetzt sie haben die Möglichkeit auszuweichen.
Die Leine schränkt diese Optionen der Kommunikation jedoch stark ein oder verhindert sie ganz.
Ja, wie der Mensch auch, sind Hunde äußerst sozial aber nicht mit Hinz und Kunz und schon garnicht, wenn der Gegenüber von weitem schon über Drohfixieren, aufgerichtete Körperhaltung und aufgestellte Rute eine Tracht Prügel verspricht.
Viele solcher Entstehungsgeschichten könnten im Vorfeld verhindert werden wenn Hundehalter mehr Wissen hätten, über hundliche Körpersprache, wie Hunde untereinander ihr soziales Zusammenleben organisieren oder wie sie sich selbst mehr in Situationen handelnd einbringen können, in denen ihr Hund sich überfordert fühlt.
Dich interessieren solche Einblicke?
Tauche mit mir ein in die faszinierende Welt deines Hundes und bekomme von mir ein tieferes Verständnis für die Welt in seinem Kopf.